Menschen und andere Tiere – Die Malerin Gisela Kottsieper im Kunsthaus Ansbach

Menschen und andere Tiere

Bildende Kunst und Lockdown

Der Teil-Lockdown ohne Theater, Konzerte, Gaststätten und Sportcenter kann uns zentrieren, wenn wir nicht Gefahr laufen, in die Falle des TV-Internet-Serien-Komas zu tappen. Kann uns beschenken, wenn wir weiterhin rausgehen und die guten Dinge wahrnehmen, einen Spaziergang in der Natur, einen Gang durch die Stadt, ein Telefongespräch mit den Lieben, eine Weiterbildung, ein Buch, ein gutes Essen oder – die Freude an der Malerei. Denn im Lockdown treten urplötzlich auch jene kostbaren Momente in den Vordergrund, die wir im Überfluss des Angebots vielleicht schnell übersehen hätten. Eine solche Kostbarkeit ist die kleine und feine Ausstellung, die derzeit im Ansbacher Kunsthaus zu sehen ist.

Gisela Kottsieper zeigt eine Auswahl ihres umfangreichen professionellen Werkes. Mit starkem Pinselstrich und kraftspendenden Farben, mit erfrischendem Humor und feiner Kritik bringt sie ein Leuchten in den tristen Alltag und entlässt den Betrachter aufgeladen mit neuer Energie in das Leben. Ich habe diesen Moment des Farbrausches, des leisen Lachens und der feinen Anreicherung genutzt und bin reich beschenkt nach Hause gegangen.

Heftige und prägnante Malanfälle

Die namhafte österreichische Kunsthistorikerin Prof. Barbara Wally, Kopf der österreichischen Sommerakademie für Bildende Kunst in Salzburg, schrieb über Kottsiepers „heftige(n) und prägnante(n) ‚Malanfälle’“: „Seit etwa fünf Jahren ist ein kontinuierlicher, fließender Wandel in der Bildwelt von Gisela Kottsieper zu beobachten. Die neueren Arbeiten unterscheiden sich von der vorhergehenden Phase sowohl durch formale wie durch inhaltliche Kriterien. Ihr Interesse hat sich von menschlichen Figuren und Akten, einzeln und in Paaren oder Gruppen, auf Tiere verlagert. Statt nackter menschlicher Figuren in Posen erscheinen nun Elefanten, Flamingos, Pinguine, Pelikane, Affen, Wasserbüffel, Eisbären, in einzelnen Exemplaren, in Paaren oder Gruppen auf der Bildfläche. Die Darstellungen haben einerseits porträthafte Züge, verdichten aber auch allgemeine Charakteristika einer Tierart zu Typisierungen, manchmal bis in die Karikatur.

Die menschliche Komponente im Animalischen

Das Interesse Gisela Kottsiepers gilt dabei eher der menschlichen Komponente im Tier als dem „Animalischen“. Als Herausforderung sieht sie es an, Bewegungsabläufe von Tieren, ihre Stimmung, ihren Habitus, ihr Verhalten und ihr Agieren in der Gruppe in Konturen und eine spezifische Farbigkeit umzusetzen. Bewusst beobachtet sie Tiere mit menschlichem Auge, also aus der Perspektive des Menschen, der sich im Tier wieder erkennt.

Figur und Raum

Die Entwicklung der formalen Kriterien umfasst mehrere Komponenten. Da ist zuerst der malerische Raum, der zuvor dicht, ja manchmal pastos konstruiert war und die dargestellten Figuren schwer umfing, sodass sie gleichsam in ihm hafteten. Die Figuren selbst hatten Körper, Volumen, und waren weniger durch Kontur und Oberfläche ausgearbeitet. Die Platzierung der Figuren im Raum und ihre malerische Ausarbeitung legte eine psychologisierende Interpretation nahe. Meist war die gesamte Bildfläche gleichmäßig be- und durchgearbeitet, ohne spezifische Akzente oder Rhythmisierungen. Malerische Mittel überwiegten zeichnerische und schufen eine Atmosphäre der Dichte, der Intensität bis hin zu einer gewissen Schwere. Der Malprozess erschien langsam, be- und durchdacht, komponiert und konstruiert.

Übergangsphase

In einer Übergangsphase, in der noch Akte und Figurationen dominieren, löst Gisela Kottsieper den Bildraum auf hin zu einer atmosphärischen, rhythmischen Schicht, die sich über die ganze Bildfläche erstreckt und somit auch die konturierten Figurationen untermalt. Auch wird der malerische Raum, aus dem sich die Akte und Figuren fast nur noch durch Konturen abheben, flüssiger und lichter. Anders die neuen Arbeiten: Es gibt fast keine durchgehende Räumlichkeit der Bilder, keinen fixierten Hintergrund, oft bleiben große Partien der Bildfläche weiß grundiert als sichtbar unbearbeitete Oberfläche stehen.

Andere Partien sind graduell dichter, wieder andere bilden in ihrer Festigkeit schwere Inseln im lockeren Bildgefüge. Die Figuren – menschliche werden weniger und Tiere erobern zunehmend die Bildfläche – erschließen sich fast ausschließlich durch die grafische Kontur – sind also mit dem Pinsel in die teilweise leere Fläche gezeichnet. Wo Farben gesetzt werden, bilden sie Akzente, erschließen die psychologische Komponente der Darstellung und machen Bewegungsabläufe nachvollziehbar. Hinzu kommen auf vielen Bildern Flächen, auf denen die Künstlerin verdünnte Farbe kontrolliert rinnen lässt. Diese Rinnspuren schaffen einerseits eine vertikale Streifenstruktur, verweisen aber auch auf die Unmittelbarkeit des Malprozesses und auf eine gewisse Vehemenz, die scheinbar außer Kontrolle geraten ist.

Komplexe und spontane Vorgänge

Gisela Kottsieper beherrscht ihre malerischen Mittel, ihr Farbvokabular und ihre Zeichensprache inzwischen so perfekt, dass sie spontane Ausfälle und Anfälle in der Malerei als Herausforderung ansieht, ja benötigt, um malerische Freiheit und Kontrolle zu verbinden. Vehemenz und Geschwindigkeit des Malprozesses sind Teil dieses Spiels zwischen Unkontrolliertheit und bewusster Gestaltung, das scheinbar akut abgebrochen wird, „nachrinnt“ und zum Stillstand kommt. Die so entstandenen Bilder sind Zeugnisse komplexer und spontaner Vorgänge, sowohl im Bewusstsein der Künstlerin wie auf der Malfläche, sie involvieren den Betrachter, der Zeuge und Mitakteur ihres Ausbruchs und seines Niederschlags im Bild wird.“ (Barbara Wally: Vom Mensch zum Tier. Die heftigen und prägnanten „Malanfälle“ Gisela Kottsiepers, 20.01.2009)

Eine filmische Führung durch die Ausstellung können Sie zudem erleben unter: https://kulturforum-ansbach.de/fileadmin/user_upload/KULTURFORUM/videos/Kottsieper-Menschen%20und%20andere%20Tiere.mp4

Susanne Schulz

Blog Dr. Susanne Schulz

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