Theater lebt – Auch in der Erinnerung (Folge 15)

Der fliegende Holländer im Theater Ansbach

DER FLIEGENDE HOLLÄNDER. IM STURM DER ZEIT. Musiktheater für Schauspiel

Als Chefdramaturgin in Neustrelitz bei Intendant Urs Leicht und in Dessau bei Johannes Felsenstein entwickelte sich meine Passion für das Musiktheater. Keine meiner Inszenierungen kommt ohne Musik, sei sie live oder eingespielt, aus. Musik ist eine der Hauptquellen, aus der ich meine szenischen Phantasien entwickele. Meine Intendanz in Ansbach war in dieser Hinsicht ein besonderes Geschenk, denn ich engagierte den großartigen Schauspieler und Musiker Hartmut Scheyhing. Er wurde ein wichtiger Darsteller vieler großer Rollen und Musikalischer Leiter des Theaters. Uns beiden war damals nicht klar, dass aus dieser Entscheidung ein intensiver gemeinsamer Weg werden sollte, aus dem eine prägende künstlerische Handschrift hervorging. Sie bestimmte das Profil des Theaters unter meiner Intendanz entscheidend. Nicht nur in meinen Inszenierungen, sondern im Spielplan des Theaters überhaupt sollte das Musiktheater eine wichtige Rolle spielen. Es gab Operette, Oper, Singspiel, Chansonabende u.v.a.m.
Hartmut Scheyhing bearbeitet viele Werke, darunter WIENER BLUT (Regie: Paul Sonderegger) oder FRAU LUNA (Regie: Alvaro Schoeck) für Schauspieler und wirkte prägend an drei meiner musikalischen Uraufführungen mit. So bescherten wir dem Theater neben Schauspiel und Kinder-/Jugendtheater eine dritte interne Sparte, das Musiktheater für Schauspiel.

Das verrückteste und größte Projekt war sicher DER FLIEGENDE HOLLÄNDER. IM STURM DER ZEIT. Die Idee dazu kam mir beim Besuch der Generalprobe des FLIEGENDEN HOLLÄNDER in Bayreuth. Wieder einmal packte mich die Geschichte um den „Armen Mann“, der, verdammt zur Unsterblichkeit, solange über die Meere segeln muss, bis ihn eine Frau in Liebe erlöst. Wagners Musik klang an diesem Abend fesselnder denn je. Energetisch und aufwühlend, düster und zart. Der HOLLÄNDER verfügt noch über einige in sich geschlossene traditionelle Elemente der Oper, die Wagners spätere Musikdramen in der „unendlichen Melodie“ völlig abgestreift haben.
Mit der Idee, dieses Werk für das Schauspiel zu adaptieren, ging ich auf drei Personen zu: Hartmut Scheyhing, den keiner meiner verrückten Einfälle je zurückscheuen ließ, die Autorin Friederike Köpf, die nach der erfolgreichen Zusammenarbeit an LUTHER! viel Lust auf ein neues gemeinsames Abenteuer hatte und die Musik- und Theaterwissenschaftlerin Dr. Verena Streitenberg, mit der mich eine langjährige Freundschaft und intensive Theaterpassion verbindet. Dr. Streitenberg ist nicht nur eine exzellente allumfassend gebildete Dramaturgin, sondern verfügt auch über eine genaue Kenntnis von Richard Wagners Werk. Sie hat seit ihrer Jugend eine enge Bindung an die Bayreuther Festspiele, wo sie u.a. als Regieassistentin für Wolfgang Wagner tätig war. Als Dramaturgin stand sie der Autorin Friederike Köpf im Entstehungsprozess des Stücktextes zur Seite, betreute meine Inszenierung und war unsere Expertin, u.a. bei unserer beliebten Sonntagsmatinee „Theatermenschen im Dialog“. Dr. Verena Streitenberg ist ein Mensch, der das Theater nicht nur kennt, sondern auch liebt und fördert. Bei unserem Projekt unterstützte sie uns auf allen Ebenen nicht nur fachkundig, sondern auch ehrenamtlich, was ihr gar nicht genug zu danken ist. Herzlich Danke, liebe Verena!

Friederike Köpf schrieb ein Stück längs an Wagners Werk entlang, bewegte sich aber mit der Grundaussage in eine völlig neue Richtung. Alle wichtigen Figuren Wagners kamen in ihrem Stück vor: Holländer, Senta, ihr Vater Daland, ihr Verlobter Erik und ihre Amme Mary. Wie schon bei LUTHER! DAS KLARE WORT war es ein kluger dramaturgischer Einfall, mit dem Köpf die Legende in die Gegenwart hob und so die Geschichte um den ewig Verdammten aktualisierte. Holländer wird von Gott verflucht und driftet auf seinem Geisterschiff durch Meere und Zeiten bis heute in unsere Gegenwart. Überall begegnet er Untoten von Schiffsunglücken, Morden, politischer Vernichtung und in unserer Gegenwart schließlich den Seelen der Boatpeople. Senta verliebt sich in Holländer und er hofft, endlich sterben zu können. Doch als sie ins Innere des Geisterschiffs vordringt, wird sie infiziert von den Stimmen der Untoten und sinnt auf deren Rettung. Senta verlässt Holländer, um die toten Seelen der Meere zu suchen. Schließlich begegnen sich die beiden am Ende desillusioniert, aber glasklar. Überall auf ihren Wegen hatten Tod und Hoffungslosigkeit gelauert. Auch die romantische Illusion von ihrer Liebe zu Holländer hat sich in Senta aufgelöst. Sie geht als reife Frau ihren eigenen Weg, um ihm auf Augenhöhe wieder zu begegnen. Wird er diesem Weg einer schonungslosen Emanzipation folgen können?
Köpf ging auch auf den Antisemitismus der Familie Wagner ein, zitierte aus Wagners Schrift „Das Judenthum in der Musik“, aus den Tagebüchern seiner Frau Cosima und lies vor allem seine Schwiegertochter Winifred zu Worte kommen, die in einem Interview mit dem Filmemacher Syberberg höchst energetisiert von den blauen Augen ihres Busenfreundes U-S-A („unser seliger Adolf,“ gemeint war Hitler) berichtet hatte. Auch diese Menschen wurden in der Inszenierung zu Stimmen, die sich den Rollenfiguren der Spieler zu bemächtigen schienen.
(Fortsetzung folgt)

DER FLIEGENDE HOLLÄNDER. IM STURM DER ZEIT von Friederike Köpf (UA)
Premiere am 14. Oktober 2017, Theater Ansbach, Großes Haus
Inszenierung: Susanne Schulz
Musikalische Leitung. Hartmut Scheyhing
Bühne und Kostüme: Jan Hax Halama
Mit: Sophie Weikert (Senta), Andreas Peer (Holländer) Hartmut Scheyhing (Der Pianist) und den Matrosen Sophie Weikert, Claudia Dölker, Andreas C. Meyer, Gerald Leiß 

Der fliegende Holländer im Theater Ansbach
Der fliegende Holländer im Theater Ansbach
Der fliegende Holländer im Theater Ansbach

Jim Albright

Blog Dr. Susanne Schulz

Dr. Susanne Schulz

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