Einen Sommer ohne Sommertheater kann ich mir nicht vorstellen. An lauen Abenden in alten Ruinen bei untergehender Sonne Kunst beizuwohnen, das macht diese Jahreszeit erst perfekt. In diesem Jahr wird uns das Sommertheater jedoch kostbarer denn je. Es gehört zu den wenigen Momenten der Rückkehr. Der Rückkehr zu dem, was uns einst so selbstverständlich war und was wir jetzt so schmerzlich vermissen. Der Rückkehr zur Kultur.
Es erinnert uns daran, wie groß unsere inneren und äußeren Potenziale sind, was uns ausmacht und was wir brauchen: die Möglichkeit, mit Augen zu sehen, mit Ohren zu hören, mit der Haut zu fühlen, mit der Zunge zu schmecken, mit der Nase zu riechen und uns unsere Eindrücke mit dem Herzen und dem Verstand einzuverleiben. Gemeinsam mit anderen Menschen ganz ruhig an einem schönen Ort zu sitzen, den Duft des Sommers einzuatmen, Worten und Klängen zu lauschen, ein Lüftchen zu spüren und danach erfüllt nach Hause zu gehen – es wird in diesem Jahr zu einem einzigartigen Geschenk!
Der Sommer hat das Theater an manchen Orten gerettet. Trotz Abstandsbestimmungen, Maskengebot, durchlöcherten Zuschauerreihen: das Theater ist zurückgekehrt. Es ist dahin zurückgekehrt, von wo es einst kam. Unter den freien Himmel, auf die Bretterbühne, in Steinkulissen. Und hier erschafft es wie einst mit wenigen Mitteln eine ganze Welt in uns. Ein Mensch, ein Text, eine Bewegung im Raum, eine Musik, ein Licht. Und schon entstehen Geschichten von Glück, von Liebe, von Sehnsucht. Schon fahren wir nach Italien, Frankreich oder „hintern Horizont“, wie es jüngst bei den traditionsreichen Kreuzgangfestspielen in Feuchtwangen geschah und noch geschieht. Dort hat man aus der Not eine Tugend gemacht und sich alter Theater-Handwerkskunst erinnert: Intendant Johannes Kaetzler und Dramaturgin Marie Wüstenhagen haben Boccaccios DECAMERONE bearbeitet und aus den Geschichten eine Folge von sieben Abenden der „Passionen“ gemacht, die sich mit Welt, Glück, Wünschen, Herzschmerz, Klugheit, Paaren und Happy End beschäftigen. Die Abende werden einige Tage geprobt, einige Tage gespielt und wechseln dann in die nächste Episode. Ein wahrhaft passioniertes Unterfangen.
Nach vielen Monaten der Isolation wird der Klang eines Textes, gesprochen von einem Schauspieler in der aufgeladenen Stimmung eines Sommerabends, zu einem Moment höchster Präsenz. Wehmut kommt auf. Freude meldet sich leise. Das lang Vermisste wirkt in dieser Einfachheit, in dieser unschuldigen Reinheit und Unaufgeregtheit wie Balsam für die Seele.
Vielen herzlichen Dank an Johannes Kaetzler und seine wunderbaren Schauspieler* innen der Kreuzgangfestspiele, die nicht nachgelassen haben, an die Kraft des Theaters zu glauben. Herzlichen Dank auch an das gesamte Team, das für Abstand und Zuwendung sorgt an diesem besonderen Abend. Boccaccios „DECAMERONE- Glück“ war ein wundervoller, beglückender, ein ruhiger, zärtlicher und freudiger Theatermoment.
Besonderen Dank zu sagen ist den engagierten Bürgermeistern der Städte Feuchtwangen und auch Dinkelsbühl, wo Intendant Peter Cahn seinen Sommerspielplan ebenfalls zeigen kann. Sie haben in diesen schweren Zeiten gemeinsam mit ihren Stadträten mutige Entscheidungen getroffen und sich für das Theater stark gemacht, auch wenn die Kassen nicht so voll sein werden wie erwartet. Doch das Theater lebt. Und das wird sich im nächsten Jahr auszahlen. Ganz bestimmt!
PASSIONEN nach Giovanni Boccaccios DECAMERONE
Regie: Johannes Kaetzler
Musikalische Leitung: Bernd Meyer und Ulrich Westermann
Dramaturgie: Maria Wüstenhagen
Es spielt das Ensemble der Kreuzgangspiele