Kein Kulturabbau durch Corona – In Ansbach ergreift das Publikum die Initiative

Ansbach ergreift die Initiative

Das Publikum wird aktiv

Unser Theater ist seit Wochen geschlossen. Wir durften nicht mehr arbeiten und wurden von offizieller Seite nur im kleinen Kreis verabschiedet.

Das wollte sich unser Publikum nicht bieten lassen. Eine Verabschiedung des Ensembles ohne sein Publikum? Never! Im Handumdrehen entstand ein Arbeitskreis, eine öffentliche Annonce warb um Mitstreiter*innen und ein Programm wurde auf die Beine gestellt.

Gestern nun verabschiedete uns unser Publikum nach 5 Jahren engagierter Theaterarbeit auf dem Theatervorplatz des Theater Ansbach. Sie haben eine Bretter-Bühne für uns aufgestellt, eine Tonanlage organisiert, Stühle für die Zuschauer*innen herangekarrt, für uns gespielt, rezitiert, Akrobatik und Musik gemacht, Reden gehalten, Erdbeerbowle gebraut und sogar Postkartenvordrucke bereitgehalten, auf denen jede*r Besucher*in uns Grüße schreiben konnte. Auch Fotos der Schauspieler* innen haben sie aufgehängt. Und ein großes Banner. Künstler*innen der Region, die ich vorher noch nie gesehen hatte, zeigten Objekttheater und Akrobatik, trommelten und spielten Gitarre. Zwei Pfarrer und ein Zuschauer hielten Ansprachen. Ist das nicht unglaublich? Meine Wohnung gleicht einer Gärtnerei, soviele Blumen und liebe Grüße habe ich erhalten.

Warum schreibe ich das Ihnen heute hier?

Trotz Masken und Abstand, trotz Auflagen und Angst durften wir Menschen uns begegnen. Weil andere Menschen die Initiative ergriffen und Gebrauch von ihrem Recht der Versammlungsfreiheit, der Meinungsfreiheit und der künstlerischen Freiheit gemacht haben. Das ist ein ungeheurer Akt demokratischen Handelns mündiger Bürger, die keine Mühen scheuen, für das, was ihnen wichtig ist, einzutreten und die Ärmel hochzukrempeln. Man kann Regeln einhalten und trotzdem selbstbestimmt bleiben. Darin besteht die wahre Kunst. Das Publikum hat es uns gestern vorgelebt.

Mensch 4.0

Theater ist für mich aus tiefster Überzeugung ein energetischer Ort innerhalb einer Stadt und Region, an dem sich Menschen begegnen, um sich auszutauschen, um sich auseinanderzusetzen mit Welt, Mensch, Geschichte, Leben, Politik…
Der Mensch braucht Theater, dessen heißer Kern aus der zwischenmenschlichen Begegnung im Liveerleben besteht. Theater findet in der Gemeinschaft statt. Gemeinsam schärfen wir unsere Sinne, fordern unseren Verstand heraus, erfrischen unseren Geist und nähren unsere Seelen mit dem Nektar der Kunst. Menschen möchten sich und andere spüren. Der gestrige Tag war der Beweis dafür. Lasst uns alle daran arbeiten, dass wir als Menschen mit unseren Werten genau so sichtbar und aktiv bleiben, füreinander da sind und nicht eines Tages von undemokratischen Machthabern oder in nicht allzu ferner Zukunft von der Künstlichen Intelligenz beherrscht werden. Jede und jeder ist gefragt. Das Publikum hat uns dazu gestern ein Lehrstück gezeigt. Auch mir, denn ich war nach wochenlanger Isolation bereits im Zustand von Kaspar Hauser, der ja bekanntlich in Ansbach ermordet wurde.

Danke

Wir Theatermacher*innen haben gestern das schönste Geschenk erhalten, das man sich zum Abschied vorstellen kann: die Herzen unserer Besucher*innen. Dafür bin ich unendlich dankbar.

Ich bin stolz auf diese wachen, schöpferischen Menschen und neu erfrischt durch die Begegnung mit Ihnen!
Ich danke für ihre Liebe zum Theater und ihrer Kraft zum Engagement den wunderbaren Initiatoren des gestrigen Tages, Harald Riese und Eckard Dürr mit Jutta Kopseel und Maria Westerveld, allen Rednern und den unbekannten Künstler*innen.

Und ich danke meinem Ensemble überaus, das sich mit mir zusammen einst zu dem Abenteuer Theater Ansbach aufgemacht hatte und sich nun in alle Winde zerstreut, wie Sternenstaub im Universum. Einen guten Weg Euch, Ihr Lieben.

Postpandemisches Theater

Andreas Peer, Susanne Schulz

Blog Dr. Susanne Schulz

Dr. Susanne Schulz

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